„Mal eben nach Budapest“ – die Fanbase-Auswärtsfahrt der Superlative


„Ihr seid ja verrückt!“ – das haben wir in den letzten Wochen öfter mal zu hören gekriegt, wenn wir jemandem von unserer geplanten „Auswärtsfahrt“ nach Ungarn zum Hinspiel in der 3. Qualifikationsrunde der EHF European League Women gegen Váci NKSE erzählt haben. Entstanden war der Gedanke spontan schon wenige Minuten nach Abpfiff des European League-Rückspiels gegen Metzingen, als Eckard die Anreise mit der Bahn ins Spiel brachte: Die kostete relativ wenig Geld und dank Liegewagen auf der Hinfahrt und Terminierung des Spiels auf den Samstagnachmittag musste dafür nicht einmal ein Urlaubstag geopfert werden. Als fest stand, wer mitkommen würde, begannen wir mit den Vorbereitungen: Einer buchte die Bahnfahrten Detmold-Budapest und zurück, ein anderer unser Hotel sowie die innerungarischen Bahntickets, und Monika besorgte uns einen Grundstock an ungarischen Forint – den Rest haben wir vor Ort in Budapest getauscht.

Zwischenzeitlich war ein gebuchter Mitfahrer wieder ausgefallen, aber zum Glück konnten wir schnell einen anderen Interessenten überzeugen, dass man bei dieser Fahrt unbedingt dabei sein musste. Und so trafen wir vier – Monika, Eckard, Lothar und Uwe – uns am Freitagnachmittag kurz vor vier am Detmolder Bahnhof und brachen von dort Richtung Ungarn auf, bzw. zunächst erst mal Richtung Altenbeken, was ja bekanntlich noch in Deutschland liegt. Damit es uns unterwegs nicht langweilig wurde, hatten die an der Hin- und Rückfahrt beteiligten Bahngesellschaften ausgerechnet auf den Strecken mit knappen Anschlussverbindungen ein paar Verspätungen eingebaut – einmal mussten wir zwar alles geben, aber zum Glück hat alles geklappt und wir haben keinen Zug verpasst (wäre auch übel gewesen!). Im Münchener Hauptbahnhof bestiegen wir am Freitag gegen 23 Uhr einen Liegewagen der ungarischen Bahngesellschaft MAV für die Fahrt bis Budapest. Der Waggon war zwar nicht mehr der Jüngste und gab manchmal seltsame Töne von sich, aber die Nacht war trotzdem relativ ruhig und wir konnten etwas schlafen.

Am nächsten Morgen erreichte unser Zug um halb zehn seine Endstation, den imposanten Kopfbahnhof von Budapest-Keleti.

Wir deckten uns in einer Wechselstube mit weiteren ungarischen Forint ein, deponierten das Gepäck schnell in unserem Hotel direkt gegenüber vom Bahnhof und machten uns gleich wieder zu Fuß auf den Weg durch die Stadt zum Bahnhof Budapest-Nyugati, etwa zweieinhalb Kilometer entfernt. Von dort nahmen wir einen modernen Doppelstock-Zug, der uns ohne Zwischenhalt bis nach Vác brachte. Am Ziel angekommen waren wir damit aber immer noch nicht …


Für die letzten paar Kilometer von Vác bis zum Haltepunkt Kisvác ganz in der Nähe der Sporthalle stiegen wir nochmal in einen niedlichen kleinen Schienenbus um, der so etwas wie das Highlight der ganzen Bahnfahrten war und deshalb natürlich unbedingt im Bild festgehalten werden musste. Die Zeit bis zur Öffnung der Tageskasse an der „Városi Sportcsarnok“ nutzten wir für einen kurzen Abstecher an die Donau, die nahe der Sporthalle träge Richtung Budapest vorbeifloss.


Wegen des trüben Wetters war sie weder schön noch blau, aber zumindest hatten wir sie jetzt mal aus der Nähe gesehen …

Zurück vor der Halle begrüßten uns erst mal die Spielerinnen der 2. Mannschaft aus Vác, die gerade zu einem Auswärtsspiel losfuhren. Dann kam auch schon die ungarische Version des „HSG-Express“ mit dem Blomberger Team an, und nach kurzem gegenseitigen „Hallo“ – inzwischen hatte auch die Tageskasse geöffnet – kauften wir für umgerechnet 4,20 Euro unsere Eintrittskarten. Unsere Plätze lagen leider auf der Seite, auf der die drei Fernsehkameras standen, so dass wir im Stream fast nie im Bild zu sehen waren.
Nachdem Fanbase-Plakat und HSG-Fahne aufgehängt waren, stärkten wir uns am Speise- und Getränkestand in der Halle und stellten fest, dass außer uns noch einige weitere HSG-Anhänger den Weg nach Vác gefunden hatten.

Obwohl Dauerkarteninhaber – anders als bei der HSG – freien Eintritt zum Europapokalspiel hatten, war die Halle mit etwa 350 Zuschauern nur zur Hälfte besetzt.

Wir hatten uns vor der Fahrt drei handliche kleine Trommeln besorgt, die man gut im Gepäck mitnehmen konnte, außerdem kam – passend zur Bahnanreise – das erprobte Mehrklang-Signalhorn der Deutschen Bundesbahn nach längerer Zeit mal wieder zum Einsatz. Damit waren wir im Livestream zeitweise recht gut zu hören (und zweimal auch kurz zu sehen), wurden aber oft von der Stimmgewalt der ungarischen Fans auf der gegenüber liegenden Tribüne mit ihren „Hajrá Vác“-Rufen übertönt. Wie das wohl erst bei einer vollbesetzten Halle gewesen wäre? Eine solche Stimmung kennt man in Deutschland nur aus Fußballstadien – anders als dort muss man aber als Gästefan beim Handball keine Angst um seine Gesundheit haben, die Stimmung war völlig entspannt. So „besuchte“ uns in der Mitte der ersten Halbzeit ein ungarischer Fan in unserer Tribünen-Ecke und wollte gern seinen wunderschönen blau-roten Vác-Fanschal (die ungarische Aufschrift heißt übersetzt „Gemeinsam schaffen wir das Unmögliche!“) gegen meinen HSG-Schal tauschen – nichts lieber als das! Total platt war ich dann, als er in der zweiten Halbzeit noch mal zurückkam, um mir ein Bier auszugeben. Leider war die Verständigung schwierig, aber für eine nette Verabschiedung vor der Halle nach Spielende reichte es allemal.

Das Spiel selbst haben HSG und LZ recht zutreffend beschrieben. Mit Abstand auffälligste Spielerin im sehr jungen ungarischen Team war die extrem sprung- und wurfgewaltige Nummer 4 Gréta Kácsor, die es im Stil einer Alicia Stolle neunmal im HSG-Kasten klingeln ließ und die über 60 Minuten nicht in den Griff zu kriegen war. Zum Glück war Laetitia Quist auf Blomberger Seite genauso erfolgreich. Überhaupt hatte man als Zuschauer nicht den Eindruck, dass das Team aus Vác wirklich besser war, wohl aber cleverer und abgezockter – die internationale Erfahrung zahlte sich aus. Das Ergebnis von 32:27 für die Gastgeberinnen lässt zwar für das Rückspiel in Lemgo noch hoffen, aber das wird alles andere als leicht werden – na denn: „Gemeinsam schaffen wir das Unmögliche!“

Nach Spielende und kurzer Verabschiedung von der Mannschaft machten wir uns auf den Rückweg zum Bahnsteig Kisvác. Nachdem der „offizielle Teil“ der Tour vorüber war, begann nun mit der Fahrt zurück nach Budapest der gemütliche Teil – sollte man jedenfalls meinen. Aber zunächst standen in Budapest noch mal gut zweieinhalb Kilometer Fußmarsch bis zu unserem Hotel an. Dort bezogen wir unsere Zimmer und machten uns eine Stunde später gegen 19 Uhr auf den Weg zum Abendessen. Nach einigem Suchen fanden wir schließlich den unscheinbaren Eingang zum kleinen Restaurant „Regös Vendéglö“ in einem Kellergewölbe an einer ruhigen Seitenstraße der Budapester Innenstadt. An der Tür hing ein Schild, dass man für den Abend ausgebucht sei, aber wir hatten ja vorab einen von nur zwölf Tischen reserviert. Diese Fanbase-Fahrt hätte einem daheimgebliebenen Mitglied bestimmt gefallen, denn es gab aus Zeitmangel überhaupt kein Kultur-Beiprogramm. Dafür hätte man die Tour locker als „Gourmet-Reise“ ausschreiben können, denn so gut gegessen haben wir definitiv noch auf keiner Auswärtsfahrt!

Auf unserem Tisch landeten unter anderem zwei große Platten mit ungarischen Spezialitäten vom Gulasch über Gänseleber, ungarischen Jungfernbraten (!) bis zum Paprikahuhn, zum Nachtisch gab’s Palatschinken und der Restaurant-Besitzer empfahl uns einen ganz vorzüglichen ungarischen Rotwein.
Danach waren wir alle so pappsatt, dass ich mir den Abstecher Richtung Donau für ein paar Nachtaufnahmen der Budapester Sehenswürdigkeiten schnell aus dem Kopf schlug und wir auf direktem Weg wieder unser Hotel ansteuerten.

Ausgeruht und vom Frühstücksbuffet gut gestärkt machten wir uns am Sonntagmorgen gegen halb zehn auf den Heimweg von Budapest nach Lippe. Diesmal nahmen wir eine etwas andere Strecke und wechselten schon am Wiener Hauptbahnhof den Zug.

Von dort fuhren wir in einem ICE bis Kassel-Wilhelmshöhe durch – verfolgt von den daheimgebliebenen Fanbaselern, die uns regelmäßig Nachrichten schickten und dank detektivischer Nachforschungen eines Mitglieds immer unseren genauen Aufenthaltsort kannten. Inzwischen waren sowohl Ungarn als auch Österreich zu Hochinzidenz-Gebieten erklärt worden: Am Bahnhof Passau kam die Bundespolizei in den Zug, kontrollierte Ausweise und 3G-Nachweise und forderte alle zur Abgabe einer digitalen Einreiseanmeldung auf, was wir auch pflichtgemäß erledigt haben. Die Realität hatte uns wieder eingeholt …

Um 22 Uhr standen wir schließlich wieder auf demselben Detmolder Bahnsteig, von dem aus wir 54 Stunden zuvor losgefahren waren. Eine trotz der HSG-Niederlage rundum gelungene Auswärtsfahrt der Superlative war vorbei.

Zum Schluss noch etwas Statistik: Insgesamt haben wir auf Hin- und Rückfahrt 2.512 Bahnkilometer in 13 verschiedenen Zügen zurückgelegt, wobei die kürzeste Fahrt ganze drei Minuten gedauert hat. Einschließlich der Wartezeiten auf diversen Bahnsteigen, Bahnhofsvorplätzen und -restaurants waren wir fast 32 Stunden mit der Bahn unterwegs. All das für 60 Minuten Handball – vielleicht sind wir ja wirklich etwas verrückt, aber uns auch alle einig, dass es sich auf jeden Fall gelohnt hat!

Text: Uwe Jakob
Fotos: Uwe Jakob, Eckard Halstenbach