Auswärtsfahrt nach Lubin
Drei Wochen nach der denkwürdigen Auswärtsfahrt nach Mosonmagyaróvár stand für die Fanbase die nächste Auslandsreise auf dem Fahrplan – diesmal zur Abwechslung in eine Stadt, deren Name jeder problemlos aussprechen kann: Es ging nach Lubin in Polen, genauer gesagt in Niederschlesien etwa 50 km nordwestlich von Breslau. Von den drei Hauptrunden-Gegnern liegt Lubin am nächsten und ist nicht viel weiter von Blomberg entfernt als Metzingen. Deshalb fuhren wir diesmal mit dem Dux-Bus, planten aber eine Übernachtung in Polen ein. Zu uns acht HSG- Fans kam auf der Hinfahrt noch Oliver Lippert hinzu, der wegen eines beruflichen Termins am Vortag nicht zusammen mit der Mannschaft im „HSG-Express“ anreisen konnte. Anders als in Ungarn hatten wir diesmal auch wieder unsere Trommeln dabei – der Bulli war also bei der Abfahrt am Samstagmorgen um sieben Uhr richtig voll. Mit einer Pause kurz vor Magdeburg und vorbei an Berlin und Cottbus erreichten wir schon kurz nach 14 Uhr unser Landhotel in Karczowiska etwa 10 km vor Lubin, checkten schnell ein und machten ein paar Fotos in der Nachmittagssonne, bevor wir weiter nach Lubin fuhren und Oliver am HSG-Mannschaftshotel absetzten.
Danach blieb uns noch etwas Zeit, um uns in Lubin umzusehen: Die Industriestadt hat heute mehr als 70.000 Einwohner, von denen die meisten in farblich „aufgehübschten“ Plattenbausiedlungen wohnen. Es gibt keine echte Alt- oder Innenstadt, wohl aber eine Reihe gut erhaltener alter Villen und Bürgerhäuser, einen Marktplatz mit Rathaus sowie viele kleinere und größere Kirchen. Ein riesiges vierstöckiges kreisrundes Einkaufszentrum namens „Cuprum Arena“ bildet so etwas wie die Stadtmitte – der Name deutet an, dass Lubin bis heute vor allem vom Kupferbergbau lebt und dadurch reich geworden ist. Nach unserem kurzen Stadtspaziergang wollten wir uns im Einkaufszentrum etwas aufwärmen; dabei fiel uns auf: Sowohl auf EHF-Plakaten an diversen Litfaßsäulen als auch an der riesigen LED-Leinwand über dem Eingang zur „Cuprum Arena“ wurde für das Spiel Lubin-Blomberg geworben. Wir waren gespannt, wie viele Lubiner bei Ticketpreisen von umgerechnet gerade mal 3,75 € der Einladung folgen würden …
Etwa eineinhalb Stunden vor dem Anwurf parkten wir den Bulli auf dem großen Parkplatz vor der „Hala Widowiskowo-Sportowa RCS“. Zum RCS-(Regionales Sportzentrum-)Komplex gehören neben der 2014 eröffneten Halle für 3.714 Zuschauer ein Leichtathletik-Stadion, eine Eislaufbahn, die im Sommer zu Tennisplätzen umfunktioniert wird, ein Schwimmbad und eine Kegel- und Bowlinghalle – die Stadt Lubin bietet also einiges für ihre sportliche Bevölkerung! Da der Ticketdrucker noch nicht funktionierte, wurden wir nach kurzem Anruf am Halleneingang ohne Kontrolle eingelassen und direkt zu unseren Plätzen im Gästeblock G gebracht. Die Halle war noch menschenleer, wirkte dadurch mit ihren Einzelschalensitzen in den Vereinsfarben weiß, grün und orange aber nicht weniger beeindruckend. Nach kurzer Zeit bekam unsere kleine Blomberger Fraktion Verstärkung, die uns Judith bereits am Dienstag beim monatlichen Fanbase-Treffen angekündigt hatte: Ihre Eltern waren ebenfalls extra aus Norddeutschland zum Spiel nach Polen gereist.
Der Verein MKS Zagłębie Lubin wurde 1967 als Männer-Feldhandballverein gegründet; erst später kam auch ein Frauenteam dazu, das mit fünf polnischen Meisterschaften (davon vier in den letzten vier Jahren), 13 Vizemeisterschaften und neun Pokalsiegen den Männern längst den Rang abgelaufen hat. In der vergangenen Saison spielte das Team sogar in der Champions League, kassierte dort allerdings in 14 Gruppenspielen nur Niederlagen. Hauptsponsor ist der polnische Kupferbergbaukonzern KGHM Polska Miedz, dessen Initialen dem Vereinsnamen vorangestellt sind. Daneben gibt es noch ein Erstliga-Fußballteam gleichen Namens, das aber direkt dem KGHM-Konzern gehört. Cheftrainerin Bozena Karkut ist übrigens bereits seit November 2000 (!) in dieser Funktion bei Lubins Handballfrauen tätig – zuvor war sie eine Weltklasse- Rechtsaußenspielerin.
Je näher die Anwurfzeit 18 Uhr kam, desto mehr fragten wir uns, wo denn die angekündigten über 3.000 Zuschauer bleiben – im Lubiner Fanblock D herrschte noch gähnende Leere, auch die übrigen Plätze waren alles andere als gut gefüllt. Die letztlich offiziell gemeldete Zuschauerzahl von 3.091 wurde niemals – nicht mal annähernd – erreicht: Geschätzt waren vielleicht 2.000 bis maximal 2.200 Plätze besetzt. Auch die Geräuschkulisse aus Block D war deutlich leiser als beim ersten Heimspiel von Lubin gegen Mosonmagyaróvár – man konnte unsere vier Trommeln plus Tröte recht gut hören, was uns nach Spielende auch die HSG-Spielerinnen bestätigt haben.
Das Hinspiel in Lemgo zwei Wochen zuvor hatte die HSG bekanntlich trotz eines Mini-Kaders dank des von Zoe in letzter Sekunde gehaltenen Siebenmeters mit 27:26 gewonnen. An diesem Abend in Lubin war die HSG-Bank zwar durch die genesenen Spielerinnen Ona, Amber, Alexia, Andrea und Lisa wieder etwas breiter besetzt, dafür fehlte aber mit Laetitia eine zentrale Figur in Abwehr und Angriff. Zunächst sah es so aus, als ob die HSG das gut wegstecken würde: Nach neun Minuten führte sie mit 3:7, doch nur sieben Minuten später lagen die Gastgeberinnen beim 10:9 plötzlich mit einem Tor vorn und zwangen Steffen zur ersten Auszeit. Immer wieder scheiterte die HSG mit unplatzierten Würfen an Lubins Torhüterin Monika Maliczkiewicz oder hatte Pech mit insgesamt fünf Latten- und Pfostentreffern. Beide HSG-Torhüterinnen waren diesmal leider kein Faktor. So führte Zaglebie Lubin zur Pause nicht unverdient mit 15:13.
Nach Wiederanpfiff änderte sich zunächst wenig an der polnischen Zwei-Tore-Führung. In der 35. Minute dann der Schockmoment: Beim Absprung zu ihrem Tempogegenstoß-Tor zum 17:16 schrie Amber auf und blieb anschließend auf dem Hallenboden liegen. Letztlich bestätigten sich die schlimmsten Befürchtungen: Bei der Aktion hatte sie sich das Kreuzband gerissen. Anschließend konnten Alexia und Nieke zwar noch zweimal ausgleichen, doch die Heimmannschaft legte immer wieder vor und gewann mehr und mehr die Kontrolle über das Spiel. Die unglücklichen, fast zeitgleichen Zweiminutenstrafen für Nieke und Alexia in der 44./45. Minute und die folgende fast neunminütige HSG-Torflaute ließen Lubin bis auf fünf Tore wegziehen. Trotz des großartigen Einsatzes bis zur letzten Sekunde war dieser Rückstand neun Minuten vor Schluss einfach nicht mehr ganz aufzuholen – dank der in der Schlussphase stark spielenden Ona, die fast im Zweiminutentakt alle fünf letzten Blomberger Treffer bis zum 29:27-Endstand markierte, konnte die HSG aber noch auf zwei Treffer verkürzen. Bitter dabei, dass Blomberg mit nur einem einzigen weiteren Tor sogar den direkten Vergleich mit Lubin wegen der mehr erzielten Auswärtstreffer für sich entschieden hätte – man hätte also gar nicht unbedingt gewinnen müssen! Denn auch wenn die Gruppentabelle nach vier Spieltagen derzeit noch die HSG wegen der etwas besseren Tordifferenz vorn sieht: Nach Abschluss der Gruppenphase zählt bei Punktgleichheit der direkte Vergleich und dort hat Blomberg gegenüber Lubin nun das Nachsehen.
Zugegeben: Der HSG-Rückraum war mit nur vier eingesetzten Spielerinnen alles andere als üppig besetzt. Doch während Nieke mit acht Treffern zweitbeste HSG-Torschützin hinter Ona (neun Treffer) war, trafen Andrea, Lisa und Ida nur jeweils einmal – zu wenig, um eine erfahrene Mannschaft wie Lubin in Bedrängnis zu bringen. Nach dem Spiel wurde Nieke gleich zweimal von zwei verschiedenen Sponsoren ausgezeichnet – als beste (Feld-)Torschützin (Siebenmetertreffer fielen dabei wohl aus der Wertung, denn sonst hätte ja Ona die Auszeichnung bekommen?) und als MVP der Gastmannschaft. Melanie und Laura kamen noch hoch zu uns auf die Tribüne und bedankten sich bei jedem für den Support. Anschließend packten wir unsere Sachen ein, verabschiedeten uns von Judiths Eltern und brachten unser Equipment aus der Halle zum Bulli. Da alle anderen Restaurants in Lubin samstags schon um 20 oder spätestens 21 Uhr schlossen, hatten wir beim Italiener schräg gegenüber der Halle einen Tisch reserviert. Lustig: Auch die HSG hatte dort Pizza bestellt – kurz nachdem wir unsere Plätze eingenommen hatten, kamen Jens, Maxi und Zoe zum Abholen vorbei! Auch wenn wir statt Bigos oder Pierogi eher un-polnische Pasta- und Pizzagerichte auf unseren Tellern hatten: Geschmeckt hat es allen prima und zumindest bei den Getränken blieben wir mit Lech Pils (poln. Piwo=Bier) und einem polnischen Wodka zur Verdauung „im Lande“. Nach der kurzen Rückfahrt zum Hotel verabschiedeten sich die meisten von uns schnell auf ihre Zimmer – der Nachtportier soll allerdings noch bis weit nach Mitternacht mit der Getränkeversorgung für zwei durstige Deutsche beschäftigt gewesen sein …
Nach einem herzhaften Frühstück am nächsten Morgen beschlossen wir spontan, unser Programm an diesem kalten, aber sonnigen Sonntag um einen kleinen Abstecher in den Spreewald zu erweitern. Zunächst fuhren wir aber noch einmal kurz nach Lubin und sahen uns die Sporthalle bei Tageslicht genauer an. Dabei stellten wir fest, dass die Kacheln der Hallenverkleidung je nach Betrachtungswinkel die Farbe wechseln. Nach ein paar schnellen Fotos „unserer“ Pizzeria vom Vorabend verabschiedeten wir uns von Lubin, passierten bald die deutsch- polnische Grenze und waren kurz nach Mittag in Lübbenau im Spreewald angekommen. Trotz der eisigen Temperaturen wurden dort Kahntouren (inklusive Wolldecken und Glühwein!) angeboten – dafür war sogar eigens das dünne Eis auf den Kanälen gebrochen worden! Wir blieben lieber auf dem Trockenen, sahen uns Schlosspark und Schloss von außen an und stärkten uns für die letzte Etappe bis Blomberg. Der eine oder andere konnte auch den angebotenen Spreewaldgurken nicht widerstehen. Bei dem schönen Wetter war der hübsche Ort selbst im Februar gut besucht – was muss hier erst an einem Sommerwochenende los sein? Die weitere Rückfahrt bis Blomberg verlief zügig und staufrei. Trotz des nicht ganz optimalen sportlichen Ergebnisses haben wir auch auf dieser Auswärtsfahrt nach Polen wieder viel erlebt und Spaß gehabt. Am Mittwoch nach dem Spiel erschien in der „Lippischen Landes-Zeitung“ ein längerer Bericht über unsere Tour – natürlich nicht ganz so ausführlich wie dieser hier … Und zum Schluss: Alle Mitfahrer nach Lubin wünschen Amber gute Besserung!
Text und Fotos: Uwe Jakob