Nachdem sich die HSG gegen das spanische Team aus Bera Bera in einer wahren Zitterpartie mit Siebenmeterwerfen tatsächlich für die EHF Finals am 3. und 4. Mai in Graz qualifiziert hatte, war klar, dass sie dort Unterstützung brauchen würde – erst recht, nachdem als Halbfinalgegner der dänische Titelfavorit Ikast Håndbold zugelost worden war. Die beiden „alten Bekannten“ Thüringer HC und JDA Bourgogne Dijon komplettierten das Teilnehmerfeld und trafen im zweiten Halbfinale aufeinander.
Der Weg nach Graz ist weit, so dass wir vier volle Tage mit drei Hotelübernachtungen unterwegs sein würden und – zumindest die Noch-nicht-Rentner – zwei Urlaubstage (Freitag und Montag) opfern müssten. Vor diesem Hintergrund fanden sich unter den Fanbase-Mitgliedern sieben Mitfahrer. Für die An- und Abreise nahmen wir wieder die Bahn und in Graz buchten wir uns ein bezahlbares Hotel am Rand der Altstadt, in fußläufiger Entfernung sowohl zum Bahnhof als auch zur Spielstätte, dem Raiffeisen-Sportpark. Unsere drei großen Trommeln reisten übrigens mit der Mannschaft im „HSG-Express“ nach Graz und zurück, wurden vom Team bis in die Halle gebracht und „übernachteten“ zwischen den beiden Spieltagen in der Mannschaftskabine – dafür ein ganz großes Dankeschön!
Schon vor der Abreise am Freitagmorgen hatte uns die Bahn mit einer Vollsperrung auf der Strecke Altenbeken-Kassel erfreut, so dass wir unseren Abfahrtsort ändern und auf die ungeliebte S5 von Schieder nach Hannover ausweichen mussten. Statt in Kassel-Wilhelmshöhe stiegen wir also schon dort in den ICE Hamburg-Wien um, den wir bereits von unserer Fahrt nach Mosonmagyaróvár kannten. Je später und wärmer es wurde, umso deutlicher spürte man in unserem vorderen Zugteil, dass die Klimaanlage nicht funktionierte. Bei der Zugteilung in Passau (ja, schon wieder in Passau!) kam es, wie es kommen musste: Statt unseres Zugteils sollte nun der andere, hintere Teil nach Wien weiterfahren. Also alle raus aus dem Zug, einmal mitsamt Gepäck den Bahnsteig entlang und ab in den hinteren Zugteil. Das dauerte seine Zeit, und unsere eigentlich großzügigen 29 Minuten Umsteigezeit in Linz waren fast komplett dahin. Nach einigen „Verhandlungen“ wartete unser Anschlusszug nach Graz schließlich aber einige Minuten, bis alle Fahrgäste aus-, um- und wieder eingestiegen waren. Die folgenden gut drei Stunden Bahnfahrt bei schönstem Wetter entschädigten dann aber mit tollen Ausblicken auf die oberösterreichischen Voralpen für die ganzen Strapazen.

Etwa auf halber Strecke zwischen Linz und Graz steht im Bahnhof Selzthal eine alte, als Denkmal erhaltene ÖBB-Dampflokomotive.

Pünktlich auf die Minute erreichten wir schließlich um 19.03 Uhr unser Ziel Graz – Zeit für ein Selfie auf dem Bahnsteig:

Ein Teil unserer Gruppe wollte sich die Beine vertreten und machte sich zu Fuß auf den Weg zu unserem Hotel in der Innenstadt, dem Motel One Graz am Jakominiplatz. Die anderen nahmen ein Taxi.

Im Hotel erwarteten uns Ute Genge und Helene, die Oma von Lisa Frey aus der Schweiz – sie hatten wir schon im Februar in Dijon kennengelernt. Beide waren nach Graz geflogen und wohnten ebenfalls im Motel One. Nach dem Einchecken und Auspacken trafen wir uns alle in der Lobby und gingen gemeinsam zum Abendessen im Brandhof, einem traditionellen österreichischen Restaurant gleich um die Ecke. Die typisch steirischen Gerichte waren große Klasse, nur unsere Vorfreude auf ein kühles Gösser vom Fass wurde enttäuscht: Die Kühlung war ausgerechnet an diesem Abend defekt und es gab deshalb nur Puntigamer aus der Flasche! Anschließend nahmen wir noch einen Absacker im Biergarten des Opernpavillons direkt neben dem Hotel.
Am Samstagmorgen trafen wir uns um halb neun in der Hotel-Lobby zum gemeinsamen Frühstück. Das erste Halbfinale im Raiffeisen-Sportpark sollte erst um 15 Uhr beginnen – wir hatten also vorher noch viel Zeit, um bei strahlendem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen Graz zu erkunden. Einige von uns besuchten einen Markt in der Nähe – wir machten uns zu sechst auf den Weg durch die Fußgängerzone zum Hauptplatz mit dem Rathaus und von dort durch schmale Gassen zur Mur, die in Nord-Süd-Richtung quer durch Graz fließt. Am Westufer liegt das Kunsthaus Graz, von seinen Erbauern „Friendly Alien“ getauft. Das 2003 – als Graz Kulturhauptstadt Europas war – eingeweihte Gebäude fällt durch seine ungewöhnliche Form auf, die wir später vom Schloßberg (der übrigens trotz Rechtschreibreform weiterhin bewusst mit „ß“ geschrieben wird) noch besser erkennen konnten.

Nur wenige Schritte entfernt befindet sich die ebenfalls zum Kulturhauptstadtjahr 2003 eröffnete Murinsel, ein 50 x 20 m großer schwimmender Hohlkörper mit Fußgängerbrücken zu beiden Ufern mit einem Amphitheater und einem verglasten „Dom“ mit Café.

Schon am Morgen war es sehr warm, deshalb machten wir dort eine Pause für ein erfrischendes Kaltgetränk. Hier kamen uns auch die ersten ganz in rot gekleideten Gruppen von THC-Fans entgegen, auf die wir in den nächsten Tagen in der Stadt immer wieder treffen sollten.
Anschließend ging es weiter zur Talstation der Schloßbergbahn, einer Standseilbahn, die schon seit 1894 Besucher auf den Grazer Schloßberg befördert. Vor einigen Jahren waren wir schon mit der ähnlich alten Nerobergbahn in Wiesbaden gefahren – ihr Grazer Gegenstück hat allerdings eine deutlich steilere Steigung von 60 % zu überwinden und besitzt außerdem zwei hochmoderne Wagen mit Glasdach, die sich in der Mitte der Strecke begegnen.
Oben angekommen machten wir erst mal ein Gruppenbild und genossen die tolle Aussicht über die ganze Stadt.
Auch die ungewöhnliche Form des „Friendly Alien“ fällt vom Schloßberg besonders ins Auge.

Das Wahrzeichen von Graz ist der 28 m hohe Uhrturm am Südende des Schloßbergs – lustigerweise sind hier die Stundenzeiger der Zifferblätter länger als die Minutenzeiger!

Zurück hinunter in die Altstadt nahmen wir den in den Fels gehauenen Schloßberglift – bei den Temperaturen wollte sich niemand die 260 Stufen der Schloßbergstiege antun! Graz ist ein Dorf: Immer wieder sahen wir unterwegs bekannte Gesichter – auf dem Schloßberg zunächst Zoes Eltern, kurze Zeit später am Uhrturm THC-Torhüterin Dinah Eckerle. Zurück in der Altstadt kam uns dann Familie Rüffieux entgegen. Wir machten uns auf den Rückweg zum Hotel, radikalisierten uns und brachen anschließend in Richtung Raiffeisen-Sportpark auf – die einen mit dem Taxi, die anderen zu Fuß.
Unterwegs trafen wir wieder alte Bekannte – zum Beispiel den Vater von Kathrin Pichlmeier, die ja bekanntlich inzwischen beim THC spielt. Vor der Halle und im Foyer war schon einiges los: Von allen vier teilnehmenden Teams hatten sich mehr oder weniger große Fangruppen nach Graz aufgemacht, allen voran die „rote Wand“ von THC-Fans, die bei weitem am zahlreichsten waren. Aber auch viele Blomberger Supporter, Angehörige und Freunde von Spielerinnen waren angereist: Es müssen etwa genauso viele Blomberg- wie Ikast-Anhänger in der Halle gewesen sein, während die französischen Fans aus Dijon die kleinste Gruppe stellten.
Einige Worte zur Veranstaltung: Wer Anfang März das deutsche Pokal-Final Four in Stuttgart erlebt und in Graz eine ähnliche oder sogar noch bessere Atmosphäre erwartet hatte, wurde von den EHF Finals enttäuscht. Obwohl die EHF in den Tagen und Wochen zuvor immer wieder behauptet hatte, dass man gerade die „letzten Tickets“ verkaufen würde und Handballfans schnell sein sollten, um Enttäuschungen zu vermeiden, kamen am Ende an beiden Tagen gerade mal etwas über 1.000 Zuschauer in die 2018 eröffnete Arena mit rund 3.000 Plätzen. Das waren bis auf ganz wenige „Neutrale“ fast ausschließlich Fans der vier teilnehmenden Vereine. Graz ist nicht gerade Österreichs „Handball-Hauptstadt“, und in der Stadt wurde auch keinerlei Werbung für das Event gemacht – selbst auf der Tourist-Information wusste man davon nichts! Es gab kein Hallenheft, keine Aktions- oder Verkaufsstände im Foyer (abgesehen von einer großen Bar) und auch in der Halle selbst kein Rahmenprogramm, außer den fast schon rührenden Versuchen, in der Halbzeitpause des jeweils zweiten Spiels des Tages einige Fans Bälle in Eimer oder Mülltonnen werfen zu lassen. Das Ganze kann man am besten mit dem Begriff „lieblos“ umschreiben. Die EHF Finals fanden bereits im dritten Jahr in Folge in Graz statt: In den ersten zwei Jahren waren die Zuschauerzahlen zwar etwas höher, aber mehr als die rund 1.800 Besucher beim Finale im letzten Jahr kamen noch nie. Die EHF sitzt bekanntlich in Wien, aber wenn man mit der Ausrichtung der Veranstaltung schon im Land bleiben möchte, wäre Wien in Sachen Erreichbarkeit und Zuschauerzuspruch sicher die bessere Wahl. Die HSG-Geschäftsstelle hatte für uns Tickets in der vierten Reihe des Blomberger Fanblocks C besorgt – dort konnte man aber aus Platz- und Lärmschutzgründen nicht trommeln. Zum Glück gab es reichlich freie Plätze in der Halle: Da wir Trommler von der frei gebliebenen ersten Reihe im Block C wegen der Bänke und Offiziellen-Tische nichts vom Spielfeld gesehen hätten, zogen wir in Reihe 1 des benachbarten Eckblocks um, der komplett leer (!) war. Hier hatten wir freie Sicht, waren allerdings etwas weiter von den übrigen Blomberger Fans entfernt.
Der HSG-Halbfinalgegner Ikast Håndbold hatte vor zwei Jahren an gleicher Stelle bereits einmal den Titel geholt; die Mannschaft ist gespickt mit dänischen, norwegischen und schwedischen Nationalspielerinnen sowie der Tschechin Marketa Jerabkova, die 2020/21 für eine Saison beim Thüringer HC gespielt hatte und damals Bundesliga-Torschützenkönigin geworden war. Es war klar, dass unsere HSG gegen dieses Allstar-Team über sich hinauswachsen musste, um auch nur annähernd mithalten zu können. Leider war das an diesem Nachmittag nicht der Fall: Schon beim ersten Blomberger Timeout in der 12. Spielminute war beim Stand von 9:3 für Ikast eine Vorentscheidung gefallen; zur Halbzeit hatte die HSG in 30 Minuten magere sechs Treffer erzielt und lag mit zehn Toren zurück. Die letzte Szene in Hälfte eins war sinnbildlich für den Auftritt der HSG an diesem Nachmittag: Ona – eigentlich eine sichere Siebenmeterschützin – vergab einen Strafwurf.
Auch einige THC-Anhänger kamen zu Beginn der zweiten Halbzeit rüber in den Blomberger Block und unterstützten die HSG-Fans – nicht ganz selbstlos, denn gegen Ikast hatte der THC schon vor zwei Jahren sein Halbfinale verloren & auf eine Wiederholung im 2025er Finale hatte man sicher keine große Lust. Alle Mühe war vergebens: Ikast konnte seine Schlüsselspielerinnen in der 2. Spielhälfte schon für das Finale schonen und trotzdem mühelos den Zehn-Tore-Pausenvorsprung bis zum Endergebnis von 28:18 halten – zwischendurch waren es beim 27:14 sogar mal 13 Treffer Differenz gewesen. Immerhin war der HSG-Angriff in Hälfte zwei etwas treffsicherer – was blieb, waren die vielen leichten technischen Fehler. Beste HSG-Schützinnen waren Nieke und Alexia mit jeweils fünf Toren. Die in gelb gekleideten dänischen Fans auf der Tribüne schräg gegenüber hatten schon früh mit den Siegesfeierlichkeiten begonnen und eine Polonaise am Spielfeldrand gestartet – das Ergebnis war am nächsten Tag ein Zaun rund um das Spielfeld …
Im zweiten Halbfinalspiel hatte der THC schon etwas mehr Mühe mit dem französischen Team aus Dijon, das nach den zwei Hauptrundenmatches gegen die HSG und der Verletzung der Dänin Stine Nørklit Lønborg mit der französischen ex-Welt- und Europameisterin Gnonsiane Niombla umgehend Ersatz gesucht und gefunden hatte. Am Ende setzte sich der deutsche Club aber nicht zuletzt dank 16 (!) Toren von Johanna Reichert mit 35:29 klar durch. Damit stand fest, dass die HSG im Spiel um Platz drei am nächsten Tag um 15 Uhr auf JDA Bourgogne Dijon treffen würde – ein Team, gegen das man in dieser EHF-Saison schon zweimal gespielt und gewonnen hatte. Ein gutes Omen?
Fortsetzung folgt …
Text und Fotos: Uwe Jakob